Verfahrenheit 451 – oder: Neues aus Plundersweilern

Die ersten 300 Worte hatte ich schon geschrieben. Doch je länger ich über Wolfram Schüttes im Perlentaucher als Debattenaufruf veröffentlichten Vorschlag, die Literaturkritik vor der Bedeutungslosigkeit zu retten, nachdachte, desto trostloser wurde es.
 Jungsclubs gab es auch schon zu Honoré Daumiers Zeiten 
Ein Jungsclub (nein, sicher ist es nur der besseren Lesbarkeit geschuldet, daß er immer nur die männliche Form verwendet) soll zusammen mit der Buchindustrie aka Verlagen,

Lektoren, Verlagskaufleuten [sic], Kritikern & interessierten Lesern

etwas schaffen, dessen sich doch das Feuilleton selbst bereitwillig und mit bis zur Kenntlichkeit entstellender Selbstbehauptung entledigt hat: Substanz. Dank “KritikerInnen”, deren Selbstbild und eigene Wichtigkeit immerzu knapp vor Johann-Heinrich-Merck- oder Alfred-Kerr-Preis zu stehen scheint; und die doch alle, mehr weniger als mehr gekonnt, wiederkäuen, was alle in den Waschzetteln der Verlage vorfinden. Immerhin gewürzt mit eigenen Geschmäcklereien, mit denen sie sich oft genug über die besprochenen Texte (und AutorInnen) zu erheben suchen.

Sondern?

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Statt darüber nachzudenken, warum die “Kritik” auch für viele LeserInnen inzwischen nur noch eine fade Nichtigkeit ist, die bestenfalls verlängerter Arm des Betriebs, aber kaum das Papier wert ist, auf dem sie noch immer gedruckt wird;
statt darüber nachzudenken, was gegen die Freunderl-Wirtschaft bei Literatur-Preisen zu tun ist, die nach Etiketten giert und immer wieder genormte “Litteratur” nach oben spült – die doch gleich wieder vergessen ist;
statt darüber nachzudenken, warum die “Kritik” sich derart korrumpiert hat, daß sie nur noch das bespricht, was alle besprechen –

Erst kommt das Fressen …

Stattdessen also wird Wolfram Schütte zum Teutschen Kultur-Michel, der lieber erst einmal ausführlich darüber nachdenkt, wer ihm denn bitte seinen exclusiven Cultur-Club finanzieren soll. Ein Schelm, wer hier “Pfründe sichern” oder “ABM” denkt.
Schüttes innovative Ideen: Eine Stiftung.[1] Oder eine “öffentlich-rechtliche Struktur zur Finanzierung”. Moment, sollten da meine Steuergelder ins Spiel kommen?

Denn es sollte ja ein Gemeinschaftsprojekt aller am Buch Interessierten sein!

Rufzeichen? Oh, Pathos, oh Schutz vor ihm. Aber dann wohl doch keine Steuergelder. Uff.
Sein moralinsaures Geweine, zu dem er durch das Fehlen gedruckter Standkataloge auf der Frankfurter Buchmesse bei gleichzeitigem Verweis auf eine App veranlaßt wird – geschenkt. Immerhin läßt er hoffen, in ihm den Praeceptor Germaniae zu finden, wenn man ihn nur läßt.
Endgültig trostlos wurde es, als ich eine weitere Idee las:

So könnten z.B. auch – durch regelmäßige Rätsel – an Gewinne für Benutzer gedacht werden.

Rätsel. Wolfram Schütte schlägt allen Ernstes Rätsel vor. Herr Kerkeling, bitte übernehmen Sie!

Und wo bleibt das Positive?

Vielleicht würde es lohnen, darüber nachzudenken, abseits des Feuilletons bestehende gute Angebote strukturiert zu nutzen (ich werfe mal als Beispiele “Schreibheft”, “Volltext”, literaturkritik.de in den Ring) oder diesen auch nur zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Nun, um auch in Zukunft gute Texte zu lesen, warte ich nicht auf die Auferstehung der Kritik aus der Asche des bei 451°F zum Anzünden des Kachelofens verbrannten Zeitungspapiers. Sondern begebe mich weiterhin einfach zur Buchhandlung meines Vertrauens, lese die erwähnten guten Quellen und suche das Gespräch mit LiteraturfreundInnen. Oder finde einfach, ohne gesucht zu haben. Eines exclusiven Cultur-Clubs bedarf ich jedenfalls nicht.
Nachtrag: Erfreulicherweise findet sich mit Jörg Sundermeiers Beitrag vom 30.06.2015 eine grundsätzlich kritische Stimme, die nicht erst mal jubelt und in das „Hurra, wir retten die Welt“-Gejohle einstimmt.


  1. wobei er sich zum ebenso komi’chen wie geschmackvoll formulierten Aufruf “Juristen an die Front” versteigt …  ?

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